BVerwG 2. Senat, Beschluss vom 08.03.2019, 2 B 45/18

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 2 B 45/18 (BVerwG)

vom 8. März 2019 (Freitag)


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Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und auf Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde ist unbegründet.

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1. Der 1974 geborene Beklagte steht seit 1996 im Dienst der Klägerin, seit 2002 als Zollobersekretär (Besoldungsgruppe A 7 BBesO). Das Amtsgericht verurteilte ihn zunächst 2006 wegen Untreue in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Durch weiteres amtsgerichtliches Urteil wurde der Beklagte im Jahr 2008 wegen Untreue in weiteren sechs Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem ersten Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Im anschließenden, vom Beklagten auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufungsverfahren verurteilte das Landgericht den Beklagten im Jahr 2012 rechtskräftig zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen. Der Beklagte hatte nach den tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts als Vollziehungsbeamter des Hauptzollamts das Bargeld von bei Schuldnern eingezogenen Forderungen im Zeitraum von August 2004 bis November 2005 jeweils teilweise für sich behalten und dadurch einen Schaden von insgesamt mehr als 15 000 € verursacht.

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Auf die Disziplinarklage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen und im Berufungsurteil ausgeführt: Der Beklagte, der Gelder von mehr als 15 000 € nicht abgeführt, Quittungsdurchschriften verändert und wahrheitswidrig eine Erpressung seiner Person behauptet habe, sei bei fehlenden Milderungsgründen aus dem Dienst zu entfernen gewesen. Der Sachverhalt sei aufgrund der bindenden amtsgerichtlichen Feststellungen erwiesen. Beide Urteile des Amtsgerichts seien hinsichtlich des Schuldspruchs rechtskräftig geworden, nachdem der Beklagte seine Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch der Strafzumessung beschränkt und das Landgericht im strafgerichtlichen Berufungsverfahren entsprechende Feststellungen getroffen habe.

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2. Die Sache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, §§ 3, 69 BDG), die ihr die Beschwerde des Beklagten beimisst.

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Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Das ist hier nicht der Fall.

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Die Beschwerde sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache der Sache nach - soweit erkennbar - in der Frage,

ob auch dann, wenn ein Strafgericht, das als Berufungsgericht nach einer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung in seinen Ausführungen zur Strafrahmenwahl oder zur Strafzumessung von Feststellungen abweicht, die in der Vorinstanz und damit vor der Beschränkung der Berufung getroffen wurden, indem es neue Feststellungen trifft und diese seiner Entscheidung zugrunde legt und diese Entscheidung rechtskräftig wird, die ursprünglichen Feststellungen für das Disziplinarverfahren bindend bleiben.

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Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht, weil die damit der Sache nach aufgeworfene Frage der Bindung des Disziplinargerichts an tatsächliche Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt ist.

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Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG sind die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren im Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für das Verwaltungsgericht bindend. Diese Bindungswirkung soll verhindern, dass zu ein- und demselben Sachverhalt unterschiedliche Tatsachenfeststellungen getroffen werden. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, die Aufklärung eines sowohl strafrechtlich als auch disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalts sowie die Sachverhalts- und Beweiswürdigung den Strafgerichten zu übertragen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass tatsächliche Feststellungen, die ein Gericht auf der Grundlage eines Strafprozesses mit seinen besonderen rechtsstaatlichen Sicherungen trifft, eine erhöhte Gewähr der Richtigkeit bieten. Daher haben die Verwaltungsgerichte die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils ihrer Entscheidung ungeprüft zugrunde zu legen, soweit die Bindungswirkung reicht. Sie sind insoweit weder berechtigt noch verpflichtet, eigene Feststellungen zu treffen. Die Bindungswirkung entfällt nur, wenn die strafgerichtlichen Feststellungen offenkundig unrichtig sind (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 C 3.12 - BVerwGE 146, 98 Rn. 13).

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Die erhöhte Richtigkeitsgewähr der Ergebnisse des Strafprozesses gilt für diejenigen tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils, die sich auf die Tatbestandsmerkmale der gesetzlichen Strafnorm beziehen. Die Feststellungen müssen entscheidungserheblich für die Beantwortung der Frage sein, ob der objektive und subjektive Straftatbestand erfüllt ist. Im Falle einer Verurteilung müssen sie diese tragen (BVerwG, Beschlüsse vom 1. März 2012 - 2 B 120.11 - juris Rn. 13 und vom 9. Oktober 2014 - 2 B 60.14 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 26 Rn. 11). Von der Bindungswirkung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG nicht erfasst werden nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hingegen Tatsachen, die lediglich für die Strafzumessung maßgeblich sind (BVerwG, Urteil vom 31. März 1998 - 1 D 59.97 - juris Rn. 20 und Beschluss vom 27. Dezember 2016 - 2 B 126.15 - juris Rn. 15).

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An diesen Grundsätzen gemessen ist die von der Beschwerde aufgeworfene Frage in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt und bedarf es daher keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens. Die Bindungswirkung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG erstreckt sich nicht auf Ausführungen des Strafgerichts zum Rechtsfolgenausspruch über die Strafzumessung. Daher bleiben Feststellungen in einem Strafverfahren auch dann im Disziplinarverfahren bindend, wenn das strafgerichtliche Berufungsgericht nach einer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung einen möglicherweise (teilweise) anderen Sachverhalt der Strafzumessungsentscheidung zugrunde legt als die Vorinstanz.

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3. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, §§ 3, 69 BDG) zuzulassen.

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Die Beschwerde legt bereits keine Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO dar. Sie beschränkt sich darauf zu behaupten, das Berufungsgericht weiche von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. März 2003 - 2 WD 8.02 - ab, indem es entgegen dieser Entscheidung nicht beachtet habe, dass ausreichende Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen eines sachgleichen rechtskräftigen Strafurteils, die zum Lösungsbeschluss berechtigen, schon dann vorliegen, wenn die strafgerichtlichen Feststellungen in sich widersprüchlich oder aus sonstigen vergleichbar gewichtigen Gründen offenkundig unzureichend sind.

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Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 28. August 2018 - 2 B 4.18 - NVwZ 2019, 229 Rn. 30). Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt weder den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenz- noch denen einer Grundsatzrüge (BVerwG, Beschlüsse vom 17. Januar 1995 - 6 B 39.94 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 S. 55 und vom 17. Dezember 2010 - 8 B 38.10 - juris Rn. 15).

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Die von der Beschwerde in Bezug genommene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Bindung an tatsächliche Feststellungen anderer Entscheidungen ist nach § 84 Abs. 1 Satz 1 Wehrdisziplinarordnung (WDO) vom 16. August 2001 (BGBl. I 2093) und damit schon nicht zu derselben Rechtsvorschrift des revisiblen Rechts im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO - hier: § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG - ergangen. Im Übrigen legt die Beschwerde nicht dar, dass das Berufungsgericht seiner Entscheidung einen von dem angeführten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts abweichenden Rechtssatz zugrunde gelegt hat (vgl. näher oben Rn. 13). Soweit der Beklagte schließlich eine fehlerhafte Rechtsanwendung des Berufungsgerichts in seinem konkreten Fall sieht, kann dies eine für den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erforderliche Rechtssatzabweichung nicht begründen.

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 BDG und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78 Satz 1 BDG erhoben werden.