BVerwG 1. Senat, Urteil vom 15.04.2019, 1 C 46/18

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 1 C 46/18 (BVerwG)

vom 15. April 2019 (Montag)


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Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrages als offensichtlich unbegründet ohne vorherige Anhörung.

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Der 1973 geborene Kläger ist algerischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit. Er reiste spätestens am 26. April 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein und wurde am 3. Mai 2018 wegen Verdacht des Diebstahls festgenommen; es wurden Aliaspersonalien festgestellt. Aus der Abschiebehaft stellte er am 12. Mai 2018 einen Asylantrag bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt).

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Mit Schreiben vom 22. Mai 2018 wurden der Kläger und sein Bevollmächtigter über die am 23. Mai 2018 anberaumte Anhörung und erkennungsdienstliche Behandlung in der Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige (UfA) B. unterrichtet. Nach einem Vermerk vom 23. Mai 2018 ließ der Kläger durch einen Mitarbeiter der UfA ausrichten, dass er an der Anhörung nicht teilzunehmen gedenke.

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Mit Bescheid des Bundesamtes vom 30. Mai 2018 wurde der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1), auf Asylanerkennung (Ziffer 2) und auf subsidiären Schutz (Ziffer 3) als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4), und dem Kläger wurde unter Fristsetzung die Abschiebung nach Algerien angedroht (Ziffer 5). Ein gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 48 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6). Bereits das augenscheinliche Desinteresse an der Weiterführung des Asylverfahrens lasse eine Verfolgungsfurcht oder einen ernsthaften Schaden im Heimatland unglaubhaft erscheinen. Der Kläger habe es unter Verletzung seiner Mitwirkungspflicht unterlassen, über sein (Verfolgungs-)Schicksal zu informieren. Er habe bereits fünf verschiedene Aliaspersonalien in der Bundesrepublik Deutschland geführt, sodass sein Asylantrag nach § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen sei. Der Asylantrag sei auch zur Abwendung einer drohenden Aufenthaltsbeendigung im Sinne von § 30 Abs. 3 Nr. 4 AsylG aus der Abschiebehaft gestellt worden, und der Kläger habe seine Mitwirkungspflichten nach § 13 Abs. 3 Satz 2, § 15 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 und § 25 Abs. 1 AsylG gröblich verletzt.

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Zur Begründung der dagegen erhobenen Klage trug der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor, er sei nicht zur Anhörung erschienen, weil man ihm in der UfA keine Medikamente gegeben habe. Er sei 1989 aus Algerien ausgereist, zunächst für zwei Jahre nach Tunesien gegangen und habe dann 14 Jahre in Italien gelebt. Nach drei Jahren in Österreich habe er sich für zwei Jahre illegal in Belgien aufgehalten. In Österreich habe er einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt worden sei. Algerien habe er verlassen, weil nach seinem Bruder, einem hohen Offizier bei den Fallschirmjägern, gesucht worden sei. Nachdem man den Bruder nicht gefunden habe, hätten ihn Terroristen für zwei Monate in die Berge mitgenommen, misshandelt und mit zehn Messerstichen schwer verletzt. Sie hätten ihn am Strand abgelegt, wo er gefunden und in ein Krankenhaus gebracht worden sei. Die Familie habe ihn dann nach Tunesien zur Behandlung gebracht. Nach Algerien könne er nicht zurückkehren, weil er Angst vor den Leuten habe, die ihn gefoltert hätten. Er sei seit 20 Jahren nicht mehr dort gewesen und habe dort auch niemanden mehr.

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Mit Urteil vom 21. September 2018 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Sie sei sowohl mit dem auf Aufhebung des Bescheides gerichteten Hauptantrag als auch mit dem hilfsweisen Verpflichtungsantrag zulässig. Für die isolierte Anfechtungsklage bestehe ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis, soweit der Kläger geltend mache, das Bundesamt habe das Verfahren einstellen müssen und nicht ohne Anhörung zur Sache entscheiden dürfen. Die besondere Ausgestaltung der Anhörung im behördlichen Asylverfahren begründe ein berechtigtes Interesse des Asylsuchenden an der Nachholung einer zu Unrecht unterbliebenen Anhörung durch das Bundesamt; diese könne nicht im gerichtlichen Verfahren ersetzt werden. Das Rechtsschutzbedürfnis fehle hingegen, soweit er die mangelnde Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme rüge. Die Anfechtungsklage sei jedoch unbegründet, die Entscheidung zur Sache trotz unterbliebener Anhörung sei rechtmäßig. Dem Bundesamt stehe beim unentschuldigten Ausbleiben des Asylantragstellers bei der Anhörung ein Wahlrecht zu. Es könne über den Antrag zur Sache entscheiden oder das Verfahren nach §§ 32, 33 AsylG einstellen. Das Bundesamt habe gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AsylG von der persönlichen Anhörung des Klägers absehen können, weil er zur Anhörung ohne genügende Entschuldigung nicht erschienen sei. Der auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutzes gerichtete hilfsweise Verpflichtungsantrag sei unbegründet. Es lasse sich bei Wahrunterstellung seines Vorbringens weder feststellen, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Algerien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG noch ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG drohe. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG lägen nicht vor. Es lasse sich nicht feststellen, dass dem Kläger in Algerien landesweit eine Verletzung seiner durch die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) geschützten Rechte oder eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit drohe. Die als Anordnung eines befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots auszulegende Regelung sei nicht zu beanstanden, insbesondere ermessensfehlerfrei.

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Nach Einlegung der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision wurde auf die Unstatthaftigkeit der ohne Zustimmung der Beklagten eingelegten Sprungrevision hingewiesen. Die Beklagte teilte daraufhin dem Gericht mit, dass sie dem Klägerbevollmächtigten die Zustimmung zur Einlegung der Revision übermittelt habe.

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Zur Begründung der Revision trägt der Kläger vor, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass in Algerien kriegsähnliche Zustände herrschten und eine Rückverbringung zu nicht wieder gutzumachenden Nachteilen für ihn führe. Bei Rückkehr drohe ihm sofortige Verhaftung. Nach 29 Jahren Abwesenheit würde man ihn in ein fremdes Land zurückverbringen, in dem er von Terroristen verschleppt und verletzt worden sei. Der Kläger hätte nochmals angehört werden müssen, da sein Vortrag von der Beklagten nicht bestritten worden sei. Hierin sei eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zu sehen, die als Verfahrensfehler geltend gemacht werde. Den Beweisangeboten sei durch die Vorinstanz nicht nachgegangen worden. Für die isolierte Anfechtungsklage bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis. Die Beklagte hätte das Asylverfahren einstellen müssen und die Anhörung des Klägers hätte im gerichtlichen Asylverfahren erfolgen müssen. Das Bundesamt hätte nicht von einer Anhörung gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AsylG absehen dürfen. Der Rückkehr des Klägers nach Algerien stünden auch gesundheitliche Gründe entgegen.

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Die Beklagte hält die Revision mangels Vorlage einer Zustimmung der Beklagten durch den Kläger für unzulässig. Die Revision habe auch in der Sache keinen Erfolg. Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

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Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich nicht am Verfahren beteiligt.

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Der Senat entscheidet über die Revision mit Einverständnis der Verfahrensbeteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).

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Die zulässige Revision des Klägers (1.) ist unbegründet. Die Abweisung der Klage durch das Verwaltungsgericht steht im Ergebnis im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) (2.).

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1. Die von der Beklagten erhobenen Zweifel an der Zulässigkeit der Sprungrevision sind unbegründet.

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Nach § 134 Abs. 1 VwGO steht den Beteiligten gegen das Urteil eines Verwaltungsgerichts die Sprungrevision zu, wenn der Kläger und der Beklagte der Einlegung der Sprungrevision schriftlich zustimmen und wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen wird (Satz 1); die Zustimmung muss der Revisionsschrift bzw. dem Antrag auf Zulassung der Sprungrevision beigefügt werden (Satz 3). Wegen des mit der Sprungrevision verbundenen Verlusts einer Tatsacheninstanz und der Bindung des Revisionsgerichts an die Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts ohne die Möglichkeit einer Verfahrensrüge muss die Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision eindeutig formuliert sein. Nach dem Normzweck des § 134 Abs. 1 Satz 3 VwGO soll das Revisionsgericht in die Lage versetzt werden, die Zulässigkeit der Revision ohne weitere Nachforschungen zeitnah zu prüfen. Dies ist etwa der Fall, wenn die Zustimmungserklärung zu Protokoll der mündlichen Verhandlung erklärt worden ist, weil das Verwaltungsgericht dem Revisionsgericht die Akten mit dem Original des Protokolls vorlegt und damit die unmittelbare Prüfung der Zulässigkeit der Sprungrevision sichergestellt ist (BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2013 - 1 C 1.13 - BVerwGE 148, 297 Rn. 8).

15

Dieser Anforderung genügt hier auch die von der Beklagten innerhalb der Revisionsfrist zu den Akten gereichte Mitteilung, dass sie dem Klägerbevollmächtigten am selben Tag die Zustimmung zur Einlegung der Revision übermittelt hat. Diese Erklärung ist hier als eigene Zustimmung gegenüber dem Gericht auszulegen. Auch wenn es sich nicht um eine gegenüber dem Revisionskläger, sondern gegenüber dem Gericht abgegebene Erklärung handelt, erreicht sie diesen bestimmungsgemäß über das Gericht (Neumann/Korbmacher, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 134 Rn. 22). Durch die von der Beklagten übersandte Erklärung wird das Revisionsgericht - dem Normzweck des § 134 Abs. 1 Satz 3 VwGO entsprechend - in vergleichbarer Weise in die Lage versetzt, die Zulässigkeit der Revision in Bezug auf das Einwilligungserfordernis ohne weitere Nachforschungen zeitnah zu prüfen.

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Der nach Auskunft der Beklagten bei dem Oberverwaltungsgericht gestellte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung führt nicht zur Unzulässigkeit der Revision. Die Sprungrevision steht den Beteiligten nach § 134 Abs. 1 Satz 1 VwGO "unter Übergehung der Berufungsinstanz" zu, und die Zustimmung gilt gemäß Absatz 5 als Verzicht auf die Berufung. Eine bereits eingelegte Berufung bzw. wie hier ein Berufungszulassungsantrag wird durch die Einlegung der Sprungrevision gegenstandslos.

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2. Die Revision ist nicht begründet. Die Klage hat keinen Erfolg. Der auf Aufhebung der negativen Sachentscheidung über den Asylantrag gerichtete Hauptantrag ist unzulässig (a). Die Hilfsanträge sind jedenfalls unbegründet (b).

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Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylgesetz (AsylG) in seiner aktuellen Fassung (derzeit: in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 <BGBl. I S. 1798>, zuletzt geändert durch das während des Revisionsverfahrens am 12. Dezember 2018 in Kraft getretene Dritte Gesetz zur Änderung des Asylgesetzes vom 4. Dezember 2018 <BGBl. I S. 2250>). Rechtsänderungen, die nach der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts eintreten, sind im Revisionsverfahren zu berücksichtigen, wenn das Tatsachengericht - entschiede es anstelle des Revisionsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Tatsachengericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es seiner Entscheidung, wenn es diese nunmehr träfe, die aktuelle Rechtslage zugrunde legen, soweit nicht hiervon eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 12). Die hier maßgeblichen Bestimmungen haben sich seit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts allerdings nicht geändert.

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a) Soweit das Verwaltungsgericht die auf Aufhebung der negativen Sachentscheidung gerichtete isolierte Anfechtungsklage für zulässig erachtet, ist dies mit Bundesrecht nicht vereinbar.

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Wegen ihrer Verpflichtung zur Herstellung der Spruchreife nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO und zur Sachaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO sind die Gerichte auch in Asylverfahren verpflichtet, zur Sache durchzuentscheiden. Die besondere Ausgestaltung des Asylverfahrens mit der hervorgehobenen Stellung des behördlichen Verfahrens und den daran anknüpfenden Verfahrensgarantien kann in besonderen Fallkonstellationen eine Ausnahme rechtfertigen. Dies kann etwa bei einer Bescheidungsuntätigkeitsklage der Fall sein, wenn noch keine Anhörung beim Bundesamt stattgefunden hat (BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2017 - 1 C 18.17 - NVwZ 2018, 1875 Rn. 37 ff.), oder bei Klagen gegen Bescheide, in denen das Bundesamt ohne Prüfung der materiell-rechtlichen Anerkennungsvoraussetzungen den Asylantrag nach § 29 AsylG als unzulässig abgelehnt (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2017 - 1 C 9.17 - Buchholz 402.251 § 29 AsylG Nr. 3 Rn. 14 f. m.w.N.) oder das Asylverfahren nach §§ 32, 33 AsylG eingestellt hat (BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 10 C 1.13 - BVerwGE 147, 329 Rn. 14). Auch bei einer Sachentscheidung über einen fingierten Asylantrag ist eine - unter bewusstem Verzicht auf eine weitergehende gerichtliche Prüfung der behördlichen Sachentscheidung - inhaltlich auf die Unanwendbarkeit des § 14a Abs. 2 AsylG beschränkte isolierte Anfechtungsklage zulässig (BVerwG, Urteil vom 21. November 2006 - 1 C 10.06 - BVerwGE 127, 161 Rn. 15 ff.). In Fortentwicklung dieser Rechtsprechung kann ein Rechtsschutzbedürfnis für eine (isolierte) Anfechtungsklage auch in Fällen bestehen, in denen das Bundesamt zu Unrecht ohne Anhörung in der Sache über einen Asylantrag entschieden hat.

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Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine isolierte Anfechtung mit der Folge der Fortführung oder der Einstellung des Verfahrens durch das Bundesamt lässt sich vorliegend aber weder aus der unterbliebenen Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme nach § 25 Abs. 5 Satz 2 AsylG (aa) noch aus einer Verpflichtung des Bundesamtes zur Einstellung des Verfahrens nach §§ 32, 33 AsylG (bb) herleiten.

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aa) Da der Kläger infolge der gegen ihn verhängten Abschiebehaft nicht verpflichtet war, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, hätte ihm nach dem Absehen von der persönlichen Anhörung durch das Bundesamt wegen des unentschuldigten Fernbleibens von der Anhörung gemäß § 25 Abs. 5 Satz 2 AsylG Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme innerhalb eines Monats gegeben werden müssen. Aufgrund der inneren Systematik der Vorschrift, wonach eine Entscheidung nach Aktenlage (Satz 3) nur bei einem Absehen von der Anhörung wegen des unentschuldigten Fernbleibens (Satz 1) und der Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme (Satz 2) möglich ist, handelt es sich bei der Verpflichtung zur Gewährung einer Stellungnahmemöglichkeit um eine materielle Tatbestandsvoraussetzung und nicht um eine reine Verfahrensvorschrift. Die vorliegend unterbliebene Stellungnahmemöglichkeit ist deshalb zu einer Verletzung der Rechte des Klägers geeignet (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Allerdings ist die Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme von der persönlichen Anhörung nach § 25 Abs. 1 und 2 AsylG zu unterscheiden. Ihr kommt nicht die Bedeutung zu, die der Senat in seiner Rechtsprechung der Anhörung im Hinblick auf die unionsrechtlichen Verfahrensgarantien und Vorkehrungen beigemessen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2018 - 1 C 18.17 - NVwZ 2018, 1875 Rn. 39 ff.). Anders als die persönliche Anhörung, die den Vorgaben der Artikel 14 ff. der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. L 180 S. 60 - AsylVerfRL n.F. -) genügen muss, kann eine unterlassene schriftliche Stellungnahme im gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden, ohne die Funktion der nach nationalem Recht vorgesehenen Gelegenheit zur Stellungnahme zu beeinträchtigen. Wird diese Gelegenheit nicht gegeben, ist dies daher nicht geeignet, ein berechtigtes Interesse für eine isolierte Anfechtung zu begründen.

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bb) Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine isolierte Anfechtung ist aber zu bejahen, wenn das Bundesamt statt der getroffenen Sachentscheidung das Verfahren hätte einstellen müssen. Erscheint ein Ausländer unentschuldigt nicht zur Anhörung, besteht für das Bundesamt in diesen Fällen entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts kein Wahlrecht zwischen der Feststellung der Einstellung des Verfahrens nach § 32 AsylG wegen Eintritts der gesetzlichen Rücknahmefiktion nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG und der Entscheidung nach Aktenlage gemäß § 25 Abs. 4 Satz 5 und Abs. 5 Satz 3 AsylG (1). Dem Bundesamt war vorliegend jedoch eine Verfahrenseinstellung nach §§ 32, 33 AsylG wegen einer fehlerhaften Belehrung über die Rechtsfolgen des unentschuldigten Fernbleibens von der Anhörung, die auch den Eintritt der Rücknahmefiktion hindert, verwehrt (2).

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(1) In Fällen des unentschuldigten Fernbleibens von der Anhörung steht dem Bundesamt zwischen der Einstellung des Asylverfahrens und der (Sach-)Entscheidung nach Aktenlage entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts kein Wahlrecht zu.

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Aus dem Wortlaut des § 25 Abs. 4 Satz 5 und Abs. 5 Satz 3 und 4 AsylG einerseits und der §§ 32, 33 AsylG andererseits ergibt sich zunächst kein bestimmtes Rangverhältnis der Vorschriften zueinander. Gemäß § 25 Abs. 5 Satz 4 AsylG bleibt § 33 AsylG vielmehr unberührt, was sprachlich auch ein gleichberechtigtes Nebeneinander beider Vorschriften erfasst.

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Das Unionsrecht räumt den Mitgliedstaaten ein Wahlrecht zwischen Verfahrenseinstellung und (ablehnender) Sachentscheidung ein. Sowohl nach Art. 20 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. 326 S. 13) - AsylVerfRL a.F. - als auch nach Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU - AsylVerfRL n.F. - stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass dann, wenn ein (vernünftiger) Grund zu der Annahme besteht, dass ein Antragsteller bzw. Asylbewerber stillschweigend seinen Antrag zurückgenommen hat oder das Verfahren nicht weiter betreibt, die Asylbehörde entweder die Antragsprüfung einstellt oder den Asylantrag aufgrund der Tatsache ablehnt, dass der Antragsteller bzw. Asylbewerber einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht nachgewiesen hat (AsylVerfRL a.F.) bzw. den Antrag ablehnt, sofern sie den Antrag nach angemessener inhaltlicher Prüfung als unbegründet ansieht (AsylVerfRL n.F.). Dabei wird das Nichtbefolgen einer Aufforderung zur Anhörung als stillschweigende Rücknahme gewertet (Art. 20 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a AsylVerfRL a.F., Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a AsylVerfRL n.F.).

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Der Gesetzgeber hat bei der Änderung des § 33 AsylG anlässlich des sog. "Asylpaket II" durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 390) an dem Nebeneinander beider Vorschriften nichts geändert. Durch die Neuregelung des § 33 AsylG wollte er die Voraussetzungen für die vereinfachte Beendigung eines (behördlichen) Asylverfahrens schaffen, an dessen Fortführung der Ausländer kein Interesse mehr hat, um zu verhindern, dass Ausländer das Asylverfahren durch bewusstes Nichtbetreiben verzögern (BT-Drs. 12/2062 S. 33 zu § 33 AsylVfG 1992). Nach den Gesetzesmaterialien dient die Neufassung von 2016 vor allem dem Zweck, in Fällen fehlender Mitwirkungsbereitschaft des Ausländers das Bundesamt von der Weiterführung dieser Asylverfahren zu entlasten. Dieser Entlastungseffekt tritt nach der Gesetzesbegründung insbesondere im Fall des Untertauchens ein, der nach früherem Recht wegen der insoweit erforderlichen gesonderten Aufforderung durch das Bundesamt, das Asylverfahren zu betreiben, erheblichen zusätzlichen Aufwand verursacht und für Verzögerungen im weiteren Verfahrensablauf gesorgt habe. Das Bundesamt werde durch die Möglichkeit, in diesen Fällen das Verfahren einzustellen, ohne eine materielle Entscheidung zu treffen, deutlich entlastet. Mit der Regelvermutung nach den Kriterien des § 33 Abs. 2 AsylG sei eine gesonderte Aufforderung zum weiteren Betreiben des Verfahrens nicht mehr erforderlich, das Nichtbetreiben werde vielmehr vermutet. Diese Vermutung könne widerlegt werden, wenn der Ausländer unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern nachweisen könne, dass das Versäumnis bzw. die von ihm vorgenommene Handlung auf Umständen beruhe, auf die er keinen Einfluss gehabt habe (BT-Drs. 18/7538 S. 16 f.). Nach der alten Rechtslage stand dem Bundesamt aber kein generelles Wahlrecht zu, ob es das Asylverfahren einstellt oder eine Sachentscheidung trifft. Das Bundesamt hatte nur die Wahl, ob es das Nichterscheinen zum Anlass nimmt, über eine Betreibensaufforderung eine kraft Gesetzes wirkende (fiktive) Antragsrücknahme herbeizuführen, oder ob es nach Aktenlage in der Sache entscheidet. Wenn nach einer (erfolglosen) Betreibensaufforderung die Voraussetzungen einer (fiktiven) Antragsrücknahme vorlagen, durfte das Bundesamt keine Sachentscheidung mehr treffen (BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 - 10 C 7.13 - BVerwGE 150, 29 Rn. 17).

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Die Neuregelung des § 33 AsylG schließt systematisch ein Wahlrecht aus. Nach § 33 Abs. 1 AsylG tritt die Rücknahmefiktion bei bestimmten Verhaltensweisen des Antragstellers nunmehr stets und ohne das frühere Erfordernis einer Betreibensaufforderung kraft Gesetzes ein. Der Asylantrag gilt als zurückgenommen, wenn der Antragsteller das Verfahren nicht betreibt. Kommt der Ausländer einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nach, wird gemäß § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Sein Antrag gilt kraft gesetzlicher Anordnung als zurückgenommen (vgl. zur insoweit identischen Wirkung der Vorgängerregelung: BVerwG, Beschluss vom 20. Januar 1984 - 9 B 689.81 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 1 S. 2 f.). Die sich aus § 32 AsylG ergebende Folge der Einstellung des Asylverfahrens wegen (fingierter) Antragsrücknahme ist zwingende gesetzliche Folge; die Entscheidung des Bundesamtes hierüber ist rein deklaratorisch (BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12 S. 2; Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 32 AsylG Rn. 6). Diese zwingende gesetzliche Folge führt dazu, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Pflicht zur Einstellung des Verfahrens besteht, die der Möglichkeit der Sachentscheidung vorgeht. Über einen nicht mehr existenten Asylantrag kann keine Sachentscheidung mehr getroffen werden. Dass den Regelungen in § 25 Abs. 4 Satz 5 und Abs. 5 Satz 3 AsylG damit kaum mehr ein Anwendungsbereich verbleibt, steht dem nicht entgegen und könnte nur durch den Gesetzgeber über eine (eindeutige) Regelung geändert werden.

29

(2) Dem Bundesamt war hier eine Verfahrenseinstellung wegen einer fehlerhaften Belehrung über die Rechtsfolgen des unentschuldigten Fernbleibens von der Anhörung jedoch verwehrt, sodass der Kläger auch hieraus kein Rechtsschutzbedürfnis herleiten kann.

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Nach § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer auf die nach den Absätzen 1 und 3 eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbekenntnis hinzuweisen. Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen der Belehrung, tritt die Rücknahmefiktion nicht ein. Der mit dem Eintritt einer gesetzlichen Fiktion verbundene Nachteil ist im Hinblick auf das alle staatliche Organe verpflichtende Prinzip eines fairen Verfahrens nur dann unbedenklich, wenn dem Betroffenen durch eine erläuternde Belehrung mit der gebotenen Deutlichkeit vor Augen geführt wird, welche Obliegenheiten ihn im Einzelnen treffen und welche Folgen bei der Nichtbeachtung entstehen können. Ein lediglich allgemein gehaltener Hinweis, der sich auf die Wiedergabe des Gesetzestextes beschränkt, ist nicht ausreichend (vgl. zur Zustellungsfiktion des § 17 Abs. 2 AsylVfG 1982: BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. März 1994 - 2 BvR 2371/93 - DVBl 1994, 631).

31

Vorliegend fehlt es an einem den Anforderungen des § 33 Abs. 4 AsylG entsprechenden Hinweis über die bei Nichtbetreiben des Verfahrens eintretenden Rechtsfolgen. Die Identität der in der Akte des Bundesamtes enthaltenen "Wichtige[n] Mitteilung - Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und - Allgemeine Verfahrenshinweise" mit einer der in dem Kläger ausweislich der Empfangsbestätigung vom 22. Mai 2018 zugegangenen Unterlagen enthaltenen Belehrung und damit den Zugang an den Kläger unterstellt, wird deren Inhalt den gesetzlichen Vorgaben nicht gerecht. Zum Nichtbetreiben des Verfahrens wird darauf hingewiesen, dass das Bundesamt für den Fall, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt, das Verfahren einstellt oder ohne weitere Anhörung nach Aktenlage entscheidet, ob ein Abschiebungsverbot vorliegt. Für den Fall, dass der Termin zur Anhörung unentschuldigt versäumt wurde, könne das Bundesamt statt einer Einstellung auch nach Aktenlage oder nach Aufforderung zur schriftlichen Stellungnahme über den Asylantrag entscheiden. Der Hinweis geht damit im Fall des unentschuldigten Fernbleibens von der Anhörung von einem Wahlrecht für das Bundesamt zwischen der Verfahrenseinstellung und der Sachentscheidung nach Aktenlage aus, das nach Vorstehendem nicht besteht.

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Aufgrund des fehlerhaften Hinweises ist die Rücknahmefiktion des § 33 Abs. 1 AsylG nicht eingetreten. Dem Bundesamt war damit eine Einstellung des Verfahrens nach §§ 32, 33 AsylG verwehrt und der Weg für die getroffene Sachentscheidung nach § 25 Abs. 5 Satz 3 AsylG eröffnet, ohne dass diese hier ausnahmsweise mit der isolierten Anfechtungsklage angegriffen werden kann.

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b) Im Einklang mit Bundesrecht hat das Verwaltungsgericht den zulässigen Hilfsantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung internationalen Schutzes, hilfsweise nationalen Abschiebungsschutzes für unbegründet erachtet.

34

Auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen. Danach hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft. Ihm droht im Falle der Rückkehr nach Algerien nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgung, weil es sich bei Wahrunterstellung der geltend gemachten Vorverfolgung in Form der Entführung und Misshandlung durch Terroristen im Jahr 1989 um ein singuläres, 30 Jahre zurückliegendes Ereignis handelt und die Entführer durch seine Freilassung zu erkennen gegeben haben, dass sie kein Interesse mehr am Kläger haben. Aus den gleichen Gründen kann ihm kein subsidiärer Schutz gewährt werden. Abschiebungsverbote bestehen ebenfalls nicht. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegt nicht vor, weil dem Kläger zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung droht. Die geltend gemachte, durch das ärztliche Attest vom 18. September 2018 belegte Erkrankung erreicht nicht die Erheblichkeit, die nach der Rechtsprechung des EGMR zugrunde zu legen ist (vgl. hierzu etwa EGMR, Urteil vom 13. Dezember 2016 - Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien - NVwZ 2017, 1187). Die gesetzliche Vermutung des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG, wonach vermutet wird, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wird durch die Bescheinigung nicht widerlegt. Aus den gleichen Gründen kann die Erkrankung auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG begründen. Ein solches ergibt sich auch nicht aus der allgemeinen Lage in Algerien, weil das wirtschaftliche Existenzminimum für den Kläger ausweislich der für den Senat insoweit bindenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) als gesichert angesehen werden kann. Soweit man die Ausführungen der Revision, wonach das Verwaltungsgericht angeblich herrschende kriegsähnliche Zustände nicht berücksichtigt habe und die Vorinstanz angeblichen Beweiserbieten nicht nachgegangen sei, als Geltendmachung von Verfahrensmängeln, insbesondere als Aufklärungsrüge werten wollte, sind diese im vorliegenden Fall der Sprungrevision nach § 134 Abs. 4 VwGO ausgeschlossen.

35

c) Auch die Abschiebungsandrohung (Ziffer 5 des Bescheides des Bundesamtes vom 30. Mai 2018) und das auf 48 Monate befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot (Ziffer 6 des Bescheides des Bundesamtes vom 30. Mai 2018) sind nicht zu beanstanden. Hinsichtlich beider Maßnahmen sind durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit weder von der Revision vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die - mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbarende (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 - 1 C 27.16 - BVerwGE 157, 356 Rn. 20 ff.) - Ermessensentscheidung (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) über die Länge der Frist für das an die Abschiebung angeknüpfte Einreise- und Aufenthaltsverbot lässt hier keine Rechts- oder Ermessensfehler erkennen.

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert von 5 000 € ergibt sich aus § 30 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.