BVerwG 6. Senat, Urteil vom 30.01.2019, 6 A 1/17

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 6 A 1/17 (BVerwG)

vom 30. Januar 2019 (Mittwoch)


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Der Kläger ist Journalist bei der Tageszeitung ... Er begehrt die Verpflichtung der Beklagten, ihm Einsicht in Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes zu Adolf Eichmann und die Globke-Ausstellung im Jahr 1961 in München zu gewähren.

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Adolf Eichmann betreffende Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes waren zuletzt Gegenstand eines Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht unter dem Az. BVerwG 7 A 15.10, das ein Kollege des Klägers geführt hatte. Im Zuge dieses Verfahrens hatte die Beklagte aufgrund eines Beschlusses des Fachsenats des Bundesverwaltungsgerichts einige Unterlagen ungeschwärzt vorgelegt. Insoweit hatten die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt. Das Bundesverwaltungsgericht hatte das Verfahren teilweise eingestellt und die Klage im Übrigen mit Urteil vom 27. Juni 2013 - 7 A 15.10 - (Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 78) abgewiesen, da der Nutzung der verbliebenen geschwärzten Seiten Ausschlussgründe entgegenstünden und sich der Anspruch nicht aus anderen Anspruchsgrundlagen ergebe.

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Im Anschluss hieran beantragte der Kläger mit Schreiben vom 1. Juli 2013 beim Bundesnachrichtendienst die Nutzung des Archivguts zur Person Adolf Eichmann, soweit das Bundesverwaltungsgericht im Verfahren BVerwG 7 A 15.10 die Klage abgewiesen hatte. Gleichzeitig begehrte er die Unterlagen zum Vorgehen der Herren Adenauer und Globke gegen Herrn Seeliger wegen der Globke-Ausstellung im Jahr 1961 in München. Der Bundesnachrichtendienst beschied den Antrag wegen des zuvor ergangenen bundesverwaltungsgerichtlichen Urteils nicht.

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Am 7. Januar 2014 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben und sein Begehren auch auf Art. 5 Abs. 3 GG, Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG sowie Art. 10 EMRK gestützt. Vorsorglich hat er die Durchführung des In-camera-Verfahrens beantragt.

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Während des Klageverfahrens hat die Beklagte zahlreiche Seiten der streitgegenständlichen Unterlagen teilweise ungeschwärzt und teilweise geschwärzt vorgelegt und in diesem Umfang den Nutzungsanspruch des Klägers anerkannt.

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Das Gericht hat mit Beschluss vom 21. Oktober 2014 der Beklagten aufgegeben, ihm die im angekündigten Klageantrag unter Ziff. 1. a) und b) aufgeführten sowie die zur Signatur 43140 gehörenden Seiten vollständig und ungeschwärzt vorzulegen. Daraufhin hat die Beklagte die Schwärzungen neu bewertet mit der Folge, dass 143 Seiten mit Schwärzungen verblieben sind. Für diese Seiten hat das Bundeskanzleramt mit Schreiben vom 9. Juli 2015 eine Sperrerklärung abgegeben, die durch die Sperrerklärung vom 20. August 2015 ersetzt worden ist, weil weitere sechs Seiten offen gelegt werden konnten. Nach der Sperrerklärung seien die Schwärzungen vor allem zum Schutz der Informanten sowie der damit im Zusammenhang stehenden nachrichtendienstlichen Belange, insbesondere die Einhaltung der zugesagten lebenslangen Vertraulichkeit, gerechtfertigt. Daneben hat sich das Bundeskanzleramt auf den Schutz weiterer nachrichtendienstlicher Belange und den Schutz Dritter berufen.

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Mit Beschluss vom 20. Dezember 2016 - 20 F 10.15 [ECLI:DE:BVerwG:2016:201216B20F10.15.0] - (Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 70) hat der Fachsenat festgestellt, dass die Sperrerklärung vom 20. August 2015 hinsichtlich der im Tenor aufgeführten Seiten teilweise rechtswidrig ist, und im Übrigen den Antrag abgelehnt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Beschlusses verwiesen.

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Das Bundeskanzleramt hat mit Schreiben vom 27. März 2017 eine neue Sperrerklärung abgegeben, weil die vom Fachsenat als rechtswidrig angesehenen Schwärzungen auf 13 Seiten aufrechterhalten bleiben müssten. Die restlichen im Tenor des Beschlusses aufgeführten Seiten hat die Beklagte ungeschwärzt vorgelegt. Im weiteren Verlauf des Verfahrens hat der Bundesnachrichtendienst drei weitere Seiten nach Abschluss eines Konsultationsverfahrens mit Israel ungeschwärzt vorgelegt. Das Bundeskanzleramt hat mit Schreiben vom 28. Januar 2019 eine angepasste Sperrerklärung abgegeben.

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Die Beteiligten haben den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt, soweit der Nutzungsanspruch anerkannt worden ist und die Unterlagen ungeschwärzt vorgelegt worden sind. Im Übrigen hat der Kläger an seinem Klagebegehren festgehalten und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

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Die frühere bundesverwaltungsgerichtliche Entscheidung stehe der Zulässigkeit seiner Klage nicht entgegen. Es handele sich hier um ein eigenständiges Verfahren mit einer anderen Klagepartei, deren Ansprüche einer eigenständigen Prüfung bedürften.

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Die Voraussetzungen des Anspruchs auf Nutzung der mehr als 30 Jahre alten Unterlagen seien auch nach der Novellierung des Bundesarchivgesetzes erfüllt. Die Schwärzungen beträfen ehemalige Informanten des Bundesnachrichtendienstes, die nicht mehr schutzwürdig seien. Der Nutzungsanspruch sei nicht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG wegen zwingender Gründe des Quellen- und Methodenschutzes ausgeschlossen. Die Norm betreffe ausschließlich die Anbietungspflicht der aktenführenden Behörde. Abgesehen davon lägen die Voraussetzungen dieser Norm nicht vor. Derartige Gründe seien nicht ersichtlich. Die personenbezogenen Schutzfristen seien abgelaufen. Soweit die Nutzung personenbezogener Daten frühestens zehn Jahre nach dem Tod der jeweiligen Person möglich sei, müsse auf die Person des 1961 verstorbenen Adolf Eichmann abgestellt werden. Die Unterlagen bezögen sich auf seine Person. Eine Einschränkung oder Versagung des Nutzungsrechts nach § 13 BArchG komme nicht in Betracht. Die bloße Nennung eines Informantennamens gefährde aufgrund des verstrichenen Zeitraums nicht die Erfüllung der dem Bundesnachrichtendienst gegenwärtig obliegenden Aufgaben.

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Über das Vorgehen der Herren Adenauer und Globke gegen Herrn Seeliger müssten bei dem Bundesnachrichtendienst weitere Unterlagen vorhanden sein. Im Verfahren BVerwG 7 A 15.10 hätten der damalige Kläger und sein Prozessbevollmächtigter die Strafanzeige und die Anklageschrift in den vorgelegten Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes einsehen können.

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Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Einsicht durch Erstellung von Kopien in die ungeschwärzten Unterlagen zu gewähren,

a) die Gegenstand der Sperrerklärung des Bundeskanzleramts vom 27. März 2017 in der Fassung vom 28. Januar 2019 sind, sowie

b) Unterlagen betreffend das Vorgehen der Herren Adenauer und Globke gegen Herrn Seeliger wegen der Globke-Ausstellung in München, insbesondere die Strafanzeige und die Anklageschrift.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Die Klage sei unzulässig. Einer Sachentscheidung stehe das rechtskräftige Urteil im Verfahren BVerwG 7 A 15.10 entgegen. Zudem sei die erneute Klageerhebung treuwidrig, da hinter den Klagen der Journalisten ihr Verlag stehe, der mittels verschiedener Mitarbeiter Prozesse mit identischem Streitgegenstand führe. Im Übrigen habe der Kläger ohne vorherige Antragstellung erstmals im Klageverfahren sein Begehren auf Art. 10 EMRK gestützt.

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Der archivrechtliche Nutzungsanspruch sei gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG ausgeschlossen, weil die Schwärzungen zum Schutz von Informanten erforderlich seien. Die personenbezogenen Schutzfristen des § 11 Abs. 2 BArchG seien anzuwenden, auch wenn der Bundesnachrichtendienst bei der Anlage der Signaturen nicht zwischen personen- und sachbezogenen Akten unterschieden habe. Der Lauf der Fristen beziehe sich auf den jeweiligen Informanten.

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Die Nutzung der ungeschwärzten Seiten sei zum Schutz der Informanten, ihrer Angehörigen und der Funktionsfähigkeit des Bundesnachrichtendienstes ausgeschlossen. Die beiden letztgenannten Gründe beanspruchten auch nach dem Tod der Informanten Geltung. Auf diese Gründe könne sie sich nach wie vor berufen, weil der Fachsenat hierüber nicht abschließend entschieden habe. Geschäftsgrundlage der Zusammenarbeit mit den Informanten sei nicht - wie noch in der Sperrerklärung vom 20. August 2015 geltend gemacht - eine lebenslange Zusage der Vertraulichkeit, sondern eine unbefristete und unbedingte Gewährleistung der Vertraulichkeit der Quellen, die sowohl dem Schutz ihrer Angehörigen als auch der Funktionsfähigkeit des Bundesnachrichtendienstes diene. Der Bundesnachrichtendienst sei auf die Gewinnung von Informanten zur Erfüllung seiner Aufgaben auch heute noch angewiesen. Es sei ernsthaft zu befürchten, dass das Anwerben neuer und das Halten bestehender Quellen erschwert werde, wenn der Bundesnachrichtendienst unter Bruch dieser Vertraulichkeitszusage die Identität der Informanten nach ihrem Tod offenlegen müsse. Darüber hinaus könne die Offenlegung von Quellen bestehende und zukünftige Kooperationen mit anderen Nachrichtendiensten beeinträchtigen und zu einer nachträglichen Enttarnung der Erkenntnisziele und der Methodik des Bundesnachrichtendienstes führen.

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Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 30. Januar 2019, den Schriftverkehr im gerichtlichen Verfahren, den Verwaltungsvorgang und die vorgelegten Signaturen verwiesen.

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Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.

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Im Übrigen ist die Klage zulässig (1.) und teilweise begründet. Der Kläger hat einen archivrechtlichen Anspruch auf Einsicht durch Erstellung von Kopien in die ungeschwärzten Seiten, soweit diese Gegenstand der Sperrerklärung des Bundeskanzleramts vom 27. März 2017 in der Fassung vom 28. Januar 2019 sind (2.). Demgegenüber steht ihm hinsichtlich seines Begehrens auf Einsichtnahme in Unterlagen betreffend das Vorgehen der Herren Adenauer und Globke gegen Herrn Seeliger wegen der Globke-Ausstellung ein Anspruch nicht zu (3.).

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1. Die auf Einsichtnahme in Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes gerichtete Klage, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO erstinstanzlich entscheidet, ist zulässig.

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Für die gerichtliche Geltendmachung des Einsichtsbegehrens auf der Grundlage des Archivrechts ist nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Verpflichtungsklage statthafte Klageart, während die Leistungsklage zu erheben ist, soweit sich der Kläger auf den verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG), die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) und Art. 10 EMRK beruft (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 27. November 2013 - 6 A 5.13 - Buchholz 402.71 BNDG Nr. 3 Rn. 10 m.w.N.).

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Die Sachurteilsvoraussetzungen der Verpflichtungsklage - hier in Gestalt der Untätigkeitsklage (§ 75 Satz 1 Alt. 2 VwGO) - liegen vor. Dem Kläger kann der zuvor bei dem Bundesnachrichtendienst geltend gemachte Anspruch auf Nutzung der streitgegenständlichen Unterlagen nach der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgebenden Sach- und Rechtslage gemäß § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Nutzung und Sicherung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz - BArchG) i.d.F. des Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Bundesarchivrechts vom 10. März 2017 (BGBl. I S. 410), geändert durch Art. 10 Abs. 3 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618), zustehen.

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Auch die Leistungsklage erweist sich als zulässig. Die Beklagte hat sich sowohl auf den archivrechtlichen Nutzungsanspruch als auch auf die Ansprüche gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 GG ohne Vorbehalt in der Sache eingelassen, so dass aus prozessökonomischen Gründen ein Rechtsschutzbedürfnis anzuerkennen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. März 2016 - 6 C 66.14 [ECLI:DE:BVerwG:2016:160316U6C66.14.0] - Buchholz 422.1 Presserecht Nr. 15 Rn. 21). Die Rüge der Beklagten betreffend Art. 10 EMRK ist hiernach unbeachtlich, da diese Anspruchsgrundlage zu den auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 GG gestützten Auskunftsansprüchen in Anspruchsnormenkonkurrenz steht. Das Gericht ist nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG gehalten, das Klagebegehren auf der Grundlage des Klageantrags und des zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalts unter allen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen zu prüfen, wenn wie hier der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Januar 2018 - 6 A 8.16 [ECLI:DE:BVerwG:2018:240118U6A8.16.0] - NVwZ 2018, 590 Rn. 14 m.w.N.).

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Die Erhebung der Klage ist weder treuwidrig noch durch die Rechtskraft des bundesverwaltungsgerichtlichen Urteils vom 27. Juni 2013 ausgeschlossen. Der in § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 BArchG normierte Nutzungsanspruch ist personengebunden und kann daher von jeder Person im eigenen Namen unabhängig von der Geltendmachung des Anspruchs durch andere Personen im Klagewege verfolgt werden. Ein daraufhin ergehendes Urteil bindet gemäß § 121 Nr. 1 VwGO nur die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger.

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2. Die Klage ist insoweit begründet, als der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Einsichtnahme durch Erstellung von Kopien in die von der Sperrerklärung des Bundeskanzleramts vom 27. März 2017 in der Fassung vom 28. Januar 2019 erfassten ungeschwärzten Seiten begehrt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Unterlagen unterfallen der Anbietungspflicht der Nachrichtendienste (a)). Die Voraussetzungen des archivrechtlichen Nutzungsanspruchs gemäß § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG liegen vor (b)). Dem Nutzungsanspruch stehen weder die allgemeine Schutzfrist des § 11 Abs. 1 BArchG (c)) noch die personenbezogenen Schutzfristen des § 11 Abs. 2 BArchG (d)) oder Weigerungsgründe im Sinne von § 13 Abs. 1 BArchG entgegen (e)).

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a) Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG sind Unterlagen der Nachrichtendienste dem Bundesarchiv anzubieten, wenn sie deren Verfügungsgewalt unterliegen und zwingende Gründe des Quellen- und Methodenschutzes sowie der Schutz der Identität der bei ihnen beschäftigten Personen einer Abgabe nicht entgegenstehen. Die Norm konkretisiert die Anbietungspflicht der Nachrichtendienste. Stehen die in der Vorschrift genannten Gründe der Anbietung entgegen, werden die Unterlagen von der Anbietungspflicht ausgenommen. Der Gesetzgeber hat in diesen Fällen ein erhöhtes Geheimhaltungsbedürfnis für erforderlich gehalten, das über das durch §§ 11 und 13 BArchG vermittelte Schutzniveau hinausgeht. Unterfallen die Unterlagen nicht der Anbietungspflicht, kann sich der in § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG normierte Nutzungsanspruch nicht auf diese Unterlagen erstrecken (vgl. ausführlich: BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 - 6 A 1.15 [ECLI:DE:BVerwG:2017:120917B6A1.15.0] - Buchholz 421.9 BArchG Nr. 1 Rn. 6 f. unter Hinweis auf BT-Drs. 18/9633 S. 59; BT-Drs. 18/10813 S. 10).

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Nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles kann das erhöhte Schutzniveau und damit der Zweck des § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG nicht mehr erreicht werden, so dass die Vorschrift keine Anwendung findet (vgl. dazu: BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 - 6 A 1.15 - Buchholz 421.9 BArchG Nr. 1 Rn. 8). Der Bundesnachrichtendienst hat die Seiten auf der Grundlage des noch unter der Geltung der alten Fassung des Bundesarchivgesetzes ergangenen Beweisbeschlusses nach Maßgabe des Fachsenat-Beschlusses vom 20. Dezember 2016 sowie unter Berücksichtigung der im Anschluss hieran abgegebenen Sperrerklärung des Bundeskanzleramts in teilweise geschwärzter Form dem Gericht und dem Kläger vorgelegt. Es kann in diesem Verfahren daher nur noch darum gehen, ob die verbliebenen strittigen Schwärzungen von der Beklagten offenzulegen sind, weil weder die Schutzfristen des § 11 BArchG noch Weigerungsgründe gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 BArchG der Nutzung entgegenstehen.

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Ungeachtet dessen betreffen die verbliebenen Schwärzungen zwar Angaben zu Informanten. Anhaltspunkte für das Vorliegen zwingender Gründe des Quellenschutzes sind jedoch gleichwohl nicht ersichtlich. Der Senat kann offenlassen, welche Anforderungen im Verhältnis zu § 13 BArchG an den eng auszulegenden Begriff der zwingenden Gründe des Quellenschutzes in § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG zu stellen sind. Denn derartige Gründe liegen jedenfalls nicht vor, wenn der Schutz des Persönlichkeitsrechts der Informanten und der mit dem Quellenschutz verbundenen nachrichtendienstlichen Belange ausreichend mittels Schwärzungen von einzelnen Textstellen nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BArchG (früher § 5 Abs. 6 BArchG a.F.) erreicht werden kann.

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b) Gemäß § 11 Abs. 6 BArchG steht in entsprechender Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG jeder Person auf Antrag das Recht zu, Unterlagen, die älter als 30 Jahre sind und noch der Verfügungsgewalt der öffentlichen Stellen des Bundes unterliegen, zu nutzen. Die Norm bezweckt, dass dem Informationsinteresse und dem Interesse an der wissenschaftlichen Aufarbeitung historischer Vorgänge auch dann Rechnung getragen werden kann, wenn die aktenführende Behörde Unterlagen dem Bundesarchiv nicht angeboten hat, obwohl die Voraussetzungen hierfür vorliegen. Auf diese Weise soll die Anbietungsbereitschaft der aktenführenden Behörde erhöht werden, weil eine Missachtung der Anbietungspflicht nicht sanktioniert ist. Das Recht auf Nutzung ist damit vom Aufbewahrungsort unabhängig (vgl. zu § 5 Abs. 8 BArchG a.F.: BT-Drs. 11/498 S. 13; Becker/Oldenhage, BArchG, 1. Aufl. 2007, OK § 5 Rn. 116; BVerwG, Urteil vom 27. November 2013 - 6 A 5.13 - Buchholz 402.71 BNDG Nr. 3 Rn. 18; zum neuen Recht: BT-Drs. 18/9633 S. 71; BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 - 6 A 1.15 - Buchholz 421.9 BArchG Nr. 1 Rn. 3, 5). Die Voraussetzungen des gegen die aktenführende Behörde gerichteten Nutzungsanspruchs liegen vor.

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Der Nutzungsanspruch bezieht sich auf die Seiten 1 (mit Ausnahme der ersten Schwärzung), 2, 8 bis 10 und 440 der Signatur 100 470, die Seiten 180 und 215 der Signatur 121 082 und die Seiten 1658 und 1690 der Signatur 121 099. Das Verlangen des Klägers, ihm Einsicht durch Erstellung von Kopien in die ungeschwärzten Unterlagen zu gewähren, ist von § 10 Abs. 3 BArchG gedeckt. Die 30-jährige Schutzfrist des § 11 Abs. 6 BArchG ist abgelaufen. Die Signaturen enthalten Unterlagen, die aus dem Jahre 1964 stammen oder älter sind. Deren Inhalt ist als Archivgut (§ 1 Nr. 2 Halbs. 1 BArchG) anzusehen, denn die Unterlagen sind von bleibendem Wert gemäß § 1 Nr. 10 Buchst. a, Doppelbuchst. aa BArchG. Ihnen kommt wegen ihrer Inhalte besondere Bedeutung zu für die Erforschung und das Verständnis von Geschichte und Gegenwart, auch im Hinblick auf künftige Entwicklungen. Die Unterlagen geben Aufschluss über die Person Adolf Eichmann (Signatur 100 470) und die Beobachtung seines Prozesses (Signatur 121 099) sowie die Globke-Ausstellung im Jahr 1961 in München (Signatur 121 082) und ermöglichen eine Auseinandersetzung und Aufarbeitung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, der Rolle verschiedener Personen des NS-Regimes, namentlich Adolf Eichmanns, sowie der mit diesen Personen im Zusammenhang stehenden Vorgänge der Nachkriegszeit.

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c) Die nach § 11 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 BArchG geltende allgemeine Schutzfrist für die Nutzung von Unterlagen ist abgelaufen. Die Frist beginnt mit Entstehung der jeweiligen Unterlagen (§ 11 Abs. 1 Satz 2 BArchG) und knüpft damit an die letzte inhaltliche Bearbeitung der Unterlagen eines Vorgangs an (§ 1 Nr. 5 BArchG). Die letzte inhaltliche Bearbeitung einer Unterlage fand in der Signatur 100 470 am 9. März 1961, in der Signatur 121 082 im Jahre 1961 und in der Signatur 121 099 am 29. Oktober 1964 statt.

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d) Dem Nutzungsanspruch des Klägers stehen die in § 11 Abs. 2 BArchG normierten Schutzfristen, die im Einzelfall über den Ablauf der allgemeinen Schutzfrist des Absatz 1 hinaus die Nutzung von Archivgut für zusätzliche Zeiträume ausschließen, nicht entgegen. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 BArchG darf nach Ablauf der Schutzfrist des Absatzes 1 Archivgut des Bundes, das sich seiner Zweckbestimmung oder seinem wesentlichen Inhalt nach auf eine oder mehrere natürliche Personen bezieht, frühestens zehn Jahre nach dem Tod der jeweiligen Person genutzt werden. Ist das Todesjahr nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand festzustellen, endet die Schutzfrist 100 Jahre nach der Geburt der Personen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BArchG). Kann auch der Geburtstag nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand festgestellt werden, endet die Schutzfrist nach Absatz 2 Satz 3 dieser Vorschrift 60 Jahre nach der Entstehung der Unterlagen.

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aa) Die Schutzfristen des § 11 Abs. 2 BArchG gewährleisten einen besonderen Schutz personenbezogener Daten, der über den durch die allgemeine Schutzfrist und die Möglichkeit der Einschränkung oder Versagung der Nutzung nach § 13 BArchG vermittelten Schutz hinausgeht (BT-Drs. 18/9633 S. 68). Die Regelungen in § 11 Abs. 2 BArchG finden Anwendung, wenn der Schutz personenbezogener Daten nicht hinreichend über § 13 BArchG gewährleistet werden kann. Sie stellen das Ergebnis einer gesetzgeberischen Abwägungsentscheidung dar. Einerseits tragen sie dem Interesse der betroffenen natürlichen Personen am Schutz ihrer Daten auf der Grundlage ihres informationellen Selbstbestimmungsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und andererseits dem Informationsinteresse der Nutzer des Archivguts Rechnung, das insbesondere durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 GG geprägt sein kann. Sie bringen diese konfligierenden Interessen generalisierend zum Ausgleich. Da bei einzelnen Unterlagen der Schutz personenbezogener Daten regelmäßig über § 13 BArchG erreicht werden kann, kommt es für die Anwendung des § 11 Abs. 2 BArchG entsprechend dem Sinn und Zweck der personenbezogenen Schutzfristen darauf an, ob das Archivgut, in dem sich die Unterlagen befinden, einen Personenbezug im Sinne des Absatz 2 Satz 1 aufweist.

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Dieses Verständnis wird durch einen Vergleich mit der noch weiter gefassten Vorgängerregelung in § 5 Abs. 2 BArchG a.F. bestätigt. Danach durfte sämtliches Archivgut des Bundes, das sich auf natürliche Personen bezog, erst 30 Jahre nach dem Tode des Betroffenen durch Dritte benutzt werden (Satz 1) und die Schutzfrist endete 110 Jahre nach der Geburt des Betroffenen, wenn das Todesjahr nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand festzustellen war (Satz 2). Sowohl mit den nunmehr verkürzten Schutzfristen als auch mit der Aufnahme von Kriterien für die Bestimmung des personenbezogenen Archivguts als Voraussetzung für die Anwendung der Schutzfristen hat der Gesetzgeber gegenüber dem früheren Recht den Zugang zum Archivgut verbessert, die Nutzerfreundlichkeit gestärkt und zugleich deutlich gemacht, dass nicht jede Angabe persönlicher Daten für die Anwendung der personenbezogenen Schutzfristen genügen soll (vgl. BT-Drs. 18/9633 S. 67 f.).

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Die den Anwendungsbereich der personenbezogenen Schutzfristen kennzeichnenden Merkmale "seiner Zweckbestimmung nach" und "seinem wesentlichen Inhalt nach" sind im Lichte dieses Normverständnisses auszulegen. Die alternativen Tatbestandsvoraussetzungen bezwecken eine zweifelsfreie Unterscheidung zwischen sachbezogenem Archivgut (Sachakten), das nur der allgemeinen Schutzfrist des § 11 Abs. 1 BArchG unterliegt, und Archivgut mit personenbezogenen Daten, für das die besonderen Schutzfristen des Absatzes 2 gelten (BT-Drs. 18/9633 S. 68). Angesichts dessen liegt der "Zweckbestimmung nach" personenbezogenes Archivgut vor, wenn die Behörde die Akte zu einer oder mehreren Personen angelegt hat; entscheidend ist ihr Wille, die Akte als Personenakte zu führen. Indiz hierfür ist die Bezeichnung der Akte (vgl. BT-Drs. 18/9633 S. 68). Demgegenüber ist das Archivgut seinem "wesentlichen Inhalt nach" personenbezogen, wenn die in der Akte enthaltenen Unterlagen aus objektiver Sicht im Wesentlichen Angaben zu einer oder mehreren Personen enthalten, also die personenbezogenen Unterlagen den Anteil der sachbezogenen Unterlagen deutlich überwiegen und hierdurch der Sachbezug der Akte in den Hintergrund tritt. Die Anwendung dieses Tatbestandsmerkmals eröffnet zwar einen gewissen Spielraum (so BT-Drs. 18/9633 S. 68). Jedoch ist bei dessen Auslegung und Anwendung in den Blick zu nehmen, dass dieses Merkmal nach der gesetzgeberischen Konzeption in qualitativer Hinsicht einer nach ihrer Zweckbestimmung personenbezogenen Akte gleichgestellt ist. Eine Akte ist daher als nach seinem wesentlichen Inhalt personenbezogenes Archivgut anzusehen, wenn sie inhaltlich einem Vergleich mit einer zweckbestimmten personenbezogenen Akte standhält und die in ihr enthaltenen Daten natürlicher Personen daher des durch § 11 Abs. 2 BArchG vermittelten besonderen Schutzes bedürfen.

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Akten, die nur vereinzelt personenbezogene Daten wie z.B. Namen oder Adressen enthalten, ohne dass diese wesentlicher Bestandteil der Akte sind, sind demgegenüber kein Archivgut mit personenbezogenen Daten, sondern Sachakten. Darin enthaltene personenbezogene Daten sind nur über die allgemeine 30-jährige Schutzfrist und über die Möglichkeit der Untersagung bzw. Einschränkung der Nutzung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BArchG geschützt (vgl. BT-Drs. 18/9633 S. 68).

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bb) Die in der Signatur 100 470 enthaltene Akte stellt ihrer Zweckbestimmung nach personenbezogenes Archivgut dar. Der Bundesnachrichtendienst hat sie zur Person Adolf Eichmann angelegt. Insoweit ist die Anwendung der personenbezogenen Schutzfrist des § 11 Abs. 2 Satz 1 BArchG allerdings nach Absatz 4 der Vorschrift ausgeschlossen, da es sich bei Adolf Eichmann um eine Person der Zeitgeschichte handelt und nicht sein schutzwürdiger privater Lebensbereich berührt ist. Die auf diesen Seiten vorgenommenen Schwärzungen betreffen Namen und Einzelangaben zu anderen natürlichen Personen, die in dem Personenverzeichnis zur Personalakte sowie in verschiedenen einzelnen Seiten in der Akte aufgeführt sind. Diese Angaben prägen nicht den wesentlichen Inhalt der Akte.

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Demgegenüber handelt es sich bei den Teilen der Signaturen 121 082 und 121 099, die Gegenstand des Nutzungsantrags sind, um Sachakten. Die Seiten 180 und 215 gehören zu dem die Seiten 169 bis 277 umfassenden Teil der Signatur 121 082, der sich mit dem Thema der Globke-Ausstellung befasst. Die Signatur 121 099 setzt sich aus den Signaturen 43131 bis 43136 zusammen. Die Seiten 1658 und 1690 sind Inhalt der Signatur 43133, die sich mit der Berichterstattung über den Eichmann-Prozess in Jerusalem befasst. Die Schwärzungen auf diesen Seiten betreffen ebenfalls nur vereinzelt Angaben über Personen, ohne dass diese wesentlicher Bestandteil der Akte sind.

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e) Die Beklagte kann die Nutzung der ungeschwärzten Seiten nicht in entsprechender Anwendung des § 13 Abs. 1 BArchG aus Gründen des Quellenschutzes einschränken oder versagen. Der Quellenschutz rechtfertigt den Ausschluss oder die Einschränkung des archivrechtlichen Nutzungsanspruchs, wenn der Nutzung schutzwürdige Interessen des betroffenen Informanten oder seiner Angehörigen im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BArchG entgegenstehen oder von einer Gefährdung des Staatswohls gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG im Falle des Bekanntwerden quellenbezogener Informationen auszugehen ist. Demgegenüber kommt eine Offenlegung quellenbezogener Informationen ausnahmsweise in Betracht, wenn aufgrund besonderer Umstände eine Gefährdung grundrechtlich geschützter Belange nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BArchG ausgeschlossen ist oder zumindest fernliegend erscheint und eine aktuelle Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste nicht ernsthaft zu befürchten ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 - 6 A 1.15 - Buchholz 421.9 BArchG Nr. 1 Rn. 13 ff. unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2017 - 2 BvE 1/15 - juris Rn. 114, 124). So verhält es sich hier.

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Die erfolgreiche Berufung auf die in § 13 Abs. 1 Satz 1 BArchG normierten Weigerungsgründe setzt entsprechende Anhaltspunkte für deren Vorliegen voraus (aa)). In Ermangelung solcher Anhaltspunkte kann das Gericht im vorliegenden Fall ohne Kenntnis vom Inhalt der geschwärzten Daten feststellen, dass die Schwärzungen nicht durch schutzwürdige Interessen der betroffenen Informanten (bb)) bzw. ihrer Angehörigen (cc)) oder wegen einer Gefährdung des Wohls der Bundesrepublik Deutschland (dd)) gerechtfertigt sind.

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aa) Ist die Vorlage der ungeschwärzten Unterlagen Gegenstand des Hauptsacheverfahrens, kann das Gericht die Rechtmäßigkeit der auf § 13 BArchG beruhenden Weigerung grundsätzlich nicht ohne Kenntnis des Inhalts der Akten beurteilen. Es hat zur Prüfung der Rechtmäßigkeit die für entscheidungserheblich erachteten ungeschwärzten Unterlagen im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) als Beweismittel anzufordern und, falls die Vorlage unter Verweis auf § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO verweigert wird, ein In-camera-Verfahren einzuleiten. Der Durchführung eines solchen Zwischenverfahrens bedarf es allerdings dann nicht, wenn der Vortrag der Behörde auch unter Berücksichtigung der zur Wahrung des Geheimhaltungsinteresses erforderlichen Beschränkungen bereits ausreichende Darlegungen dazu vermissen lässt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der geltend gemachten Weigerungsgründe erfüllt sein könnten. Liegt der Weigerungsgrund nicht gleichsam auf der Hand, gebietet die Amtsermittlungspflicht dem Gericht nicht, Aufklärungsmaßnahmen ins Blaue hinein zu ergreifen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. September 2016 - 6 A 10.14 [ECLI:DE:BVerwG:2016:210916B6A10.14.0] - juris Rn. 16). Anhaltspunkte für solche Maßnahmen können sich aus den Akten, dem Beteiligtenvorbringen oder dem Gesamtergebnis des Verfahrens ergeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Januar 2018 - 6 A 8.16 - NVwZ 2018, 590 Rn. 24). Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO sind die Beteiligten zur Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung verpflichtet. Nach dieser Norm kann das Gericht in Erfüllung seiner Amtsermittlungspflicht die Beteiligten zur Sachverhaltsaufklärung heranziehen. Ist das Gericht - wie im Anwendungsbereich des § 13 Abs. 1 Satz 1 BArchG - auf Anhaltspunkte für das Vorliegen von Weigerungsgründen zur Aufklärung des Sachverhalts angewiesen, kann seine Amtsermittlungspflicht herabgesetzt sein und gegebenenfalls enden, wenn sich aus dem Beteiligtenvorbringen keine derartigen Anhaltspunkte ergeben (vgl. zur Grenze der Amtsermittlungspflicht: BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2013 - 9 C 11.11 - BVerwGE 145, 354 Rn. 28 m.w.N.).

43

Gemessen hieran kann der Senat über das Vorliegen der von der Beklagten geltend gemachten Weigerungsgründe auf der Grundlage des Gesamtergebnisses des Verfahrens (§ 108 Abs. 1 VwGO) ohne Kenntnis der Namen der Informanten und des Inhalts der Schwärzungen entscheiden. Der Durchführung eines erneuten In-camera-Verfahrens aufgrund der Sperrerklärung des Bundeskanzleramts vom 27. März 2017 in der Fassung vom 28. Januar 2019 bedarf es nicht.

44

bb) Ein Grund zu der Annahme, dass der Nutzung der ungeschwärzten Seiten schutzwürdige Interessen der jeweiligen Betroffenen entgegenstehen könnten (§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 BArchG), ist nicht ersichtlich.

45

(1) Schutzwürdige Interessen des Betroffenen können sich aus dem Schutz des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit und der freien Entfaltung der Persönlichkeit einschließlich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) ergeben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass diese Rechtsgüter im Falle einer Offenlegung der persönlichen Angaben einer Gefährdung ausgesetzt sind. Die Annahme derartiger schutzwürdiger Interessen setzt voraus, dass der Betroffene noch lebt. Denn solche Interessen können aus dem postmortalen Persönlichkeitsschutz nicht hergeleitet werden (s. im Einzelnen BVerwG, Beschlüsse vom 21. September 2016 - 6 A 8.14 [ECLI:DE:BVerwG:2016:210916B6A8.14.0] - ZD 2017, 483 Rn. 15 und vom 12. September 2017 - 6 A 1.15 - Buchholz 421.9 BArchG Nr. 1 Rn. 16). Die Interessen des Betroffenen müssen zudem tatsächlich (noch) schutzwürdig sein. Hieran fehlt es namentlich dann, wenn es sich um Personen der Zeitgeschichte handelt, die in den Unterlagen nur in ohnehin bereits bekannten Zusammenhängen angeführt werden, oder wenn es sich um persönliche Daten handelt, die in allgemein zugänglichen Quellen erwähnt worden sind, und diese Quellen, etwa Zeitungsberichte oder sonstige Publikationen, in den Unterlagen lediglich wiedergegeben sind, ohne dass dadurch weiterführende Rückschlüsse ermöglicht werden (BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 - 6 A 1.15 - Buchholz 421.9 BArchG Nr. 1 Rn. 16). Der Weigerungsgrund setzt - wie § 13 Abs. 1 Satz 2 BArchG zeigt - eine Abwägungsentscheidung voraus, in der die für den Schutz der persönlichen Daten sprechenden schutzwürdigen Interessen des Betroffenen den Nutzungsinteressen gegenüberzustellen sind. Ist ernsthaft zu befürchten, dass der Nutzung überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen gegenüberstehen, ist die Nutzung einzuschränken oder zu versagen.

46

Die Beschränkung dieses Weigerungsgrundes auf lebende Betroffene rechtfertigt in denjenigen Fällen, in denen sich nicht feststellen lässt, ob der Betroffene noch lebt, die Anwendung einer Vermutungsregel des Inhalts, dass die Interessen des Betroffenen jedenfalls dann nicht mehr schutzwürdig sind, wenn seit seiner Geburt mehr als 90 Jahre vergangen sind. Für die Bemessung dieser Frist liegt es nahe, als Anhaltspunkt auf die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland abzustellen. Diese lag nach den Angaben im Statistischen Jahrbuch 2018 des Statistischen Bundesamts (S. 652) im Jahr 2016 bei 83,1 Jahren (Frauen) und 78,3 Jahren (Männer). Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich hierbei um Durchschnittswerte handelt, ist ein ausreichender Zuschlag erforderlich. Demgegenüber ist es nicht geboten, auf die in § 11 Abs. 2 Satz 2 BArchG normierte Frist von 100 Jahren nach der Geburt abzustellen. Denn jene Norm bezweckt - wie unter II 2. d), aa)) ausgeführt - ein gegenüber § 13 BArchG höheres Schutzniveau, bei dessen Ausgestaltung sich der Gesetzgeber nicht an der Lebenserwartung der Betroffenen orientiert hat (vgl. zu § 5 Abs. 2 Satz 2 BArchG a.F.: BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2016 - 20 F 10.15 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 70 Rn. 13). Auf die Vermutung, dass der betroffene Informant nicht mehr schutzwürdig ist, wenn seit seiner Geburt mehr als 90 Jahre vergangen sind, kann erst abgestellt werden, wenn andere Aufklärungsmaßnahmen der Behörde oder des Gerichts im Rahmen der Amtsermittlungspflicht nicht zum Erfolg führen. Zu verlangen ist grundsätzlich neben einer Melderegisterabfrage (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 - 6 A 1.15 - Buchholz 421.9 BArchG Nr. 1 Rn. 17) die Durchführung von Internet- und Datenbankrecherchen sowie Abfragen bei anderen Behörden im Wege der Amtshilfe.

47

(2) In Anwendung dieser Grundsätze kann der Senat nicht feststellen, dass die Schwärzungen noch lebende Informanten betreffen. Nach den Angaben der Beklagten sind die betroffenen Informanten entweder verstorben oder vor mehr als 90 Jahren geboren. Die Beklagte hat sich zuletzt nicht mehr auf den Weigerungsgrund des § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 BArchG berufen und von der im Beschluss des Fachsenats vom 20. Dezember 2016 eröffneten Möglichkeit der weiteren Darlegung dieses Weigerungsgrundes keinen Gebrauch gemacht. Soweit sie das Todesdatum einzelner Betroffenen nicht ermitteln konnte, ist davon auszugehen, dass weitere Aufklärungsmaßnahmen nicht zum Erfolg führen, da der Fachsenat bereits entsprechende Internetrecherchen erfolglos durchgeführt hat und eine Melderegisterabfrage oder Anfragen im Wege der Amtshilfe in Bezug auf die im Ausland lebenden Betroffenen ausscheiden.

48

cc) Bei der Berufung auf den Quellenschutz kann im Einzelfall nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 BArchG der Schutz von Angehörigen (§ 1 Nr. 1 BArchG) zu berücksichtigen sein. Wie bei dem Schutz des Betroffenen setzt auch hier der Weigerungsgrund eine Abwägungsentscheidung des Inhalts voraus, dass die für den Schutz der persönlichen Daten sprechenden schutzwürdigen Interessen der Angehörigen (Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit und der freien Entfaltung der Persönlichkeit durch Dritte) den Nutzungsinteressen gegenüberzustellen sind. Ist ernsthaft zu befürchten, dass der Nutzung überwiegende schutzwürdige Interessen der Angehörigen des Betroffenen gegenüberstehen, ist die Nutzung einzuschränken oder zu versagen. Der Angehörige muss noch leben und seine Interessen müssen tatsächlich noch schutzwürdig sein. Diese Voraussetzungen sind ersichtlich nicht erfüllt.

49

Anhaltspunkte für das Vorliegen dieses Versagungsgrunds müssen sich darauf erstrecken, dass der Betroffene noch lebende Angehörige hat und es ernsthaft zu befürchten ist, dass bei einer Enttarnung der Informanten deren schutzwürdige Interessen beeinträchtigt werden. Dies ist hier weder dem Inhalt der Signaturen, der sich zu schutzwürdigen Angehörigen der Betroffenen nicht verhält, noch dem Vorbringen der Beklagten zu entnehmen. Die in ihrem Schriftsatz vom 23. November 2018 gemachten Angaben zu Angehörigen genügen nicht. Die Beklagte hat bei der überwiegenden Zahl der Informanten schon nicht darlegen können, dass sie noch lebende Angehörige haben. Sie kann sich auch nicht - wie sie es bei einigen Informanten gemacht hat - darauf zurückziehen, dass sie nicht über Angehörige ohne deren Gefährdung recherchieren könne. Denn eine Anerkennung dieses Weigerungsgrundes ins Blaue hinein kommt nicht in Betracht. Ebenso wenig rechtfertigt allein die Angabe, das Umfeld des Betroffenen bedürfe angesichts des Herkunftslandes des Schutzes, mangels Substantiierung einer konkreten Gefährdungslage die Durchführung einer Beweiserhebung. Auch soweit die Beklagte bei zwei Informanten Angehörige benennt, lässt diese Angabe ohne weitere Anhaltspunkte nicht den Schluss einer Gefährdung ihrer Rechtsgüter zu. Nicht zuletzt spricht der Verfahrensablauf gegen die Annahme eines Grundes, dass der Nutzung schutzwürdige Interessen von Angehörigen entgegenstehen könnten. Zum einen hat die Beklagte die Berufung auf den Angehörigenschutz erst nachgeschoben, nachdem sie mit der Geltendmachung der Weigerungsgründe zum Schutz der Betroffenen und der Gefährdung des Staatswohls im In-camera-Verfahren erfolglos geblieben ist, ohne eine nachvollziehbare Begründung für die späte Geltendmachung im Verfahren zu geben. Zum anderen hat das Bundeskanzleramt in seiner letzten Sperrerklärung explizit den Angehörigenschutz nicht mehr aufgegriffen, obwohl es hierzu mit Blick auf den Hinweis des Gerichts vom 30. Oktober 2018, dass die bisherigen Ausführungen in der Sperrerklärung vom 27. März 2017 unzureichend sind, Anlass gehabt hätte.

50

dd) Der Nutzungsanspruch ist nicht nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG ausgeschlossen. Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass durch die Nutzung das Wohl der Bundesrepublik Deutschland gefährdet würde. Es ist nicht ernsthaft zu befürchten, dass durch die Offenlegung des Namens und der persönlichen Angaben der hier betroffenen Informanten die Aufgabenerfüllung des Bundesnachrichtendienstes erschwert wird.

51

(1) Eine Gefährdung des Wohls der Bundesrepublik Deutschland kommt in Betracht, wenn durch das Bekanntwerden quellenbezogener Informationen die Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste generell beeinträchtigt werden kann. Dies ist zum einen der Fall, wenn es sich um Informationen handelt, die für die Arbeitsweise und Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste von Bedeutung sind, insbesondere wenn sie das Vorgehen der Behörden bei der Anwerbung und Führung von sowie der Kommunikation mit Informanten betreffen. Zum anderen kann das Bekanntwerden quellenbezogener Informationen dazu führen, dass die weitere Nutzung aktiver und die Gewinnung neuer Informationsquellen beeinträchtigt wird, da der Quellenschutz hierfür eine Voraussetzung ist und der Einhaltung von Vertraulichkeitszusagen besondere Bedeutung zukommt. Die Effektivität der Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste unter Einsatz von Informanten ist grundsätzlich davon abhängig, dass das Vertrauen in die Einhaltung gegebener Vertraulichkeitszusagen nicht - etwa durch Herausgabe quellenbezogener Informationen - erschüttert wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 - 6 A 1.15 - Buchholz 421.9 BArchG Nr. 1 Rn. 13 unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2017 - 2 BvE 1/15 - juris Rn. 114). Darüber hinaus kommt die Gefährdung des Staatswohls in Betracht, wenn die Offenlegung von Quellen bestehende und zukünftige Kooperationen mit anderen Nachrichtendiensten beeinträchtigt und zu einer nachträglichen Enttarnung der Erkenntnisziele und der Methodik des Bundesnachrichtendienstes führt.

52

Die Annahme dieses Weigerungsgrundes setzt im Zusammenhang mit dem Informantenschutz eine Prüfung im Einzelfall voraus, bei der nicht schematisch zwischen lebenden und verstorbenen Quellen zu differenzieren ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 - 6 A 1.15 - Buchholz 421.9 BArchG Nr. 1 Rn. 13 ff. unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2017 - 2 BvE 1/15 - juris Rn. 114, 124). Bei der Einzelfallprüfung ist der Zeitablauf ein bedeutsamer - wenn auch nicht allein ausschlaggebender - Faktor. So kann sich im Einzelfall bei weit zurückliegenden, abgeschlossenen Vorgängen die Geheimhaltungsbedürftigkeit erheblich vermindert oder erledigt haben. In diesen Fällen reicht die bloße Geltendmachung dieses Weigerungsgrundes nicht aus, weil eine aktuelle Beeinträchtigung der Aufgabenerfüllung nicht gleichsam von selbst auf der Hand liegt; vielmehr müssen Anhaltspunkte für konkret befürchtete Nachteile, soweit nach den Umständen und unter Wahrung des in Anspruch genommenen Geheimhaltungsinteresses möglich, vorliegen, aus denen sich ergibt, dass die Bekanntgabe des Inhalts der persönlichen Daten unter Berücksichtigung des Umfelds, in dem der Informant eingesetzt war, auch heute noch zu einer Erschwerung der Aufgabenerfüllung führt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. September 2016 - 6 A 8.14 - ZD 2017, 483 Rn. 20; hieran anknüpfend BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 2018 - 20 F 15.16 [ECLI:DE:BVerwG:2018:241018B20F15.16.0] - juris Rn. 29 f.).

53

Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass sich die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG nicht anhand von Vermutungsregeln indizieren lassen. Die Norm lässt im Rahmen der gebotenen Einzelfallprüfung keinen Raum für die Vermutung, von der Notwendigkeit einer weiteren Geheimhaltung bei weit zurückliegenden, abgeschlossenen Vorgängen sei ohne zusätzliche Erläuterungen auszugehen, wenn der (mutmaßliche) Tod eines Informanten nicht länger als etwa 30 Jahre zurückliege (a.A. wohl am Maßstab von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO: BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 2018 - 20 F 15.16 - juris Rn. 33).

54

(2) Die Einzelfallprüfung ist im vorliegenden Verfahren nicht deshalb entbehrlich, weil der Fachsenat in seinem Beschluss vom 20. Dezember 2016 am Maßstab von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO abschließend über die im Zusammenhang mit dem Schutz der Informanten stehenden nachrichtendienstlichen Belange entschieden hätte. Zwar kann ein Beschluss, in dem der Fachsenat abschließend über einen in der Sperrerklärung geltend gemachten Weigerungsgrund entschieden hat, im weiteren Verfahren zur Hauptsache wie ein rechtskräftiges Zwischenurteil zugrunde zu legen und dem Gericht im Hauptsacheverfahren eine eigenständige - ggf. abweichende - Bewertung der öffentlichen Geheimschutzbelange und deren Abwägung mit dem Rechtsschutzinteresse des Betroffenen verwehrt sein (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 27. September 2006 - 3 C 34.05 - BVerwGE 126, 365 und vom 27. Juni 2013 - 7 A 15.10 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 78 Rn. 21; Beschlüsse vom 26. Januar 1968 - 7 B 75.67 - BVerwGE 29, 72 <73>; vom 15. August 2003 - 20 F 3.03 - BVerwGE 118, 352 <356> und vom 24. November 2003 - 20 F 13.03 - BVerwGE 119, 229 <231>; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 [ECLI:DE:BVerfG:1999:rs19991027.1bvr038590 - BVerfGE 101, 106 <120>). Jedoch setzt die mit dem Beschluss des Fachsenats verbundene präjudizielle Wirkung voraus, dass der Fachsenat bei § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO einen materiell-rechtlich Maßstab angelegt hat, der inhaltsgleich zur fachgesetzlichen Vorschrift ist. Auf einem derartigen mit § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG vergleichbaren Maßstab beruht der Beschluss des Fachsenats vom 20. Dezember 2016 - 20 F 10.15 - (Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 70 Rn. 24) nicht, da er der Schutzwürdigkeit nachrichtendienstlicher Belange nach dem Tod des Informanten eine eigenständige Bedeutung abgesprochen hat.

55

(3) Die Beklagte erachtet eine Staatswohlgefährdung für gegeben, weil die Offenlegung der Angaben zu den Informanten der Geschäftsgrundlage widerspreche, auf der die Zusammenarbeit mit dem Informanten beruhe. Diese sei durch die seit 60 Jahren in ständiger Praxis abgegebene Zusage einer unbedingten und unbefristeten Geheimhaltung der Zusammenarbeit gekennzeichnet, die auch über den Tod des Informanten hinaus Geltung beanspruche. Ein Bruch dieser Zusage bzw. der Geschäftsgrundlage führe danach auch aktuell zu einer Beeinträchtigung des Anwerbens und Führens von Informanten und damit der Aufgabenerfüllung des Bundesnachrichtendienstes.

56

Die pauschale Behauptung einer unbedingten und unbefristeten Geheimhaltungszusage, die bei den hier betroffenen Informanten nach den Angaben der Beklagten nicht aktenkundig gemacht ist, ist schon deshalb nicht für die Annahme einer Staatswohlgefährdung geeignet, weil die Beklagte zum Inhalt der Zusage im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht widersprüchliche Angaben gemacht hat. Während sie vor der Durchführung des In-camera-Verfahrens vorgetragen hat, dass den hier betroffenen Informanten eine "lebenslange" Vertraulichkeit der Zusammenarbeit zugesagt worden sei, hat sie sich erstmals nach Ergehen des Fachsenats-Beschlusses, in dem die lebenslange Zusage der Vertraulichkeit als Weigerungsgrund nicht anerkannt worden ist, auf eine unbedingte und unbefristete Geheimhaltungszusage als Geschäftsgrundlage berufen. Dieses gesteigerte Vorbringen, das ersichtlich dazu dienen soll, die Durchführung eines weiteren In-camera-Verfahrens zu erreichen, erweist sich wegen seiner Widersprüchlichkeit und des Zeitpunkts seiner Einführung in das Verfahren als unglaubhaft.

57

Hinzu tritt der Umstand, dass der Vortrag und das Handeln der Beklagten in sich nicht schlüssig sind, wenn sie einerseits vorträgt, die Aufgabenerfüllung erfordere zwingend und absolut die Einhaltung der unbefristeten und unbedingt abgegebenen Geheimhaltungszusage, und andererseits ohne rechtliche Verpflichtung Informanten aufgrund ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit offenlegt, ohne dass sie durch diesen Bruch der Geheimhaltungszusage ihre Aufgabenerfüllung als beeinträchtigt ansieht. Dieses Verhalten der Beklagten lässt den Schluss zu, dass sie ohne Bindung an ihre eigene Geschäftsgrundlage und unabhängig von normativen Vorgaben meint, selbst über die Reichweite des Schutzes ihrer Informanten bestimmen zu können. Auf dieser Grundlage kann das Gericht nicht davon ausg