BVerwG 7. Senat, Urteil vom 25.10.2018, 7 C 6/17

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 7 C 6/17 (BVerwG)

vom 25. Oktober 2018 (Donnerstag)


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Der Kläger, Redakteur einer Tageszeitung, begehrt Auskünfte zu Immunitätsangelegenheiten des Deutschen Bundestages.

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Im März 2014 beantragte der Kläger beim Deutschen Bundestag, ihm für die abgelaufene und die laufende Legislaturperiode Auskünfte zu Immunitätsangelegenheiten zu erteilen. Die Beklagte verwies den Kläger hinsichtlich der Zahl der Immunitätsfälle auf das Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages und lehnte unter Hinweis auf die derzeitige Beschlusslage des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung die Erteilung weiterer Auskünfte ab.

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Der hiergegen erhobenen Klage gab das Verwaltungsgericht statt.

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Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 29. November 2016 das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen: Der Anwendungsbereich des presserechtlichen Auskunftsanspruchs nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, der einzigen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage, sei nicht eröffnet. Die begehrten Auskünfte bezögen sich unmittelbar auf Immunitätsangelegenheiten als eigene Angelegenheiten des Parlaments und seien als solche von dem Anwendungsbereich des auf Verwaltungshandeln beschränkten presserechtlichen Auskunftsanspruchs ausgenommen. Für einen presserechtlichen Auskunftsanspruch unmittelbar gegen den Deutschen Bundestag als Organ der Legislative sei unabhängig davon, ob sich der verfassungsrechtliche Anspruch auch auf Organe der Legislative erstrecke, dann kein Raum, wenn und soweit der Gesetzgeber von seiner Kompetenz zur Regelung von Auskunftsansprüchen Gebrauch gemacht habe. Dies habe der Deutsche Bundestag getan, indem er in § 107 GO-BT geregelt habe, in welchen Immunitätsfällen ein Beschluss des Plenums ergehe, und damit zugleich festgelegt habe, in welchem Umfang Informationen über Immunitätsangelegenheiten zugänglich gemacht würden.

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Der Kläger hat die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt und macht geltend: Die begehrten Auskünfte seien vom Anwendungsbereich des presserechtlichen Auskunftsanspruchs nicht ausgenommen. Sie seien nicht geeignet, die Belange des Parlaments zu beeinträchtigen. Sie beträfen allgemeine statistische Daten, die mit dem Inhalt und dem Sinn der Immunitätsregelungen nicht in einem direkten Zusammenhang stünden. Die Kompetenz des Deutschen Bundestages zur Regelung seiner Geschäftsordnung schließe nicht die Befugnis ein, Voraussetzungen und Grenzen zu bestimmen, unter denen der Öffentlichkeit und der Presse Informationen zu erteilen seien. Das Oberverwaltungsgericht habe eine Einzelfallabwägung unterlassen und einen abwägungsfesten Vorrang der Vertraulichkeitsinteressen der Beklagten bejaht.

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Der Kläger beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. November 2016, berichtigt durch Beschluss vom 6. Januar 2017, aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.

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Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

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Sie verteidigt das Urteil des Oberverwaltungsgerichts.

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Die zulässige Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) hat das Oberverwaltungsgericht den gegen den Deutschen Bundestag geltend gemachten verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch abgelehnt (1.). Ein Auskunftsanspruch aus Art. 10 EMRK besteht gleichfalls nicht (2.).

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1. Der Kläger kann als Journalist und Träger des Grundrechts der Pressefreiheit einen verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gegen den Deutschen Bundestag zu Immunitätsangelegenheiten nicht geltend machen.

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a) Das Grundrecht der Pressefreiheit verleiht einen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Auskunft gegenüber Bundesbehörden in Ermangelung einer einfachgesetzlichen Regelung des Bundesgesetzgebers, soweit die Landespressegesetze wegen einer entgegenstehenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht anwendbar sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. März 2016 - 6 C 65.14 - BVerwGE 154, 222 Rn. 13 m.w.N.).

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Der in § 4 Abs. 1 des Berliner Pressegesetzes (PresseG BE) i.d.F. der Bekanntmachung vom 15. Juni 1965 (BGBl I S. 744), neu gefasst durch Art. 1 des Gesetzes vom 4. April 2016 (BGBl I S. 150), landesrechtlich normierte Auskunftsanspruch der Presse gegenüber Behörden ist nicht anwendbar. Die Regelung behördlicher Auskunftspflichten gegenüber der Presse lässt sich wesensmäßig dem Presserecht zuordnen, für das die Länder zuständig sind, da Art. 73 f. GG es nicht dem Bund zuweisen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 6 C 12.14 - BVerwGE 151, 348 Rn. 18). Das Grundgesetz weist die Regelungskompetenz für Auskunftsansprüche zur Rechtsstellung der Abgeordneten allerdings als Annexkompetenz dem Bundesgesetzgeber zu. Nach Art. 38 Abs. 3 und Art. 48 Abs. 3 Satz 3 GG sind Einzelheiten der Rechtsstellung der Abgeordneten durch Bundesgesetz zu bestimmen. Die dort zur Rechtsstellung des Abgeordneten ausgesprochenen Gesetzgebungsaufträge setzen eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes voraus bzw. regeln eine solche selbst inzident. Die Regelung der Parlamentsangelegenheiten des Deutschen Bundestages ist Teil der Selbstorganisation des Bundes. Auskunftspflichten, die diesen Bereich betreffen, beziehen sich hiernach auf die Rechtsstellung der Abgeordneten. Über Gegenstand und Reichweite solcher Auskunftspflichten hat der Bundesgesetzgeber in Ausübung seiner Kompetenz nach Art. 38 Abs. 3 GG zu entscheiden und dabei die betroffenen Rechtsgüter einem angemessenen Ausgleich zuzuführen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. März 2016 - 6 C 65.14 - BVerwGE 154, 222 Rn. 13 f.). Von dieser Kompetenz hat er bisher keinen Gebrauch gemacht.

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Aufgrund des in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs können Pressevertreter in geeigneter Form behördliche Auskünfte verlangen, soweit berechtigte schutzwürdige Interessen privater oder öffentlicher Stellen an der Vertraulichkeit von Informationen nicht entgegenstehen (BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013 - 6 A 2.12 - BVerwGE 146, 56 Rn. 29 und vom 25. März 2015 - 6 C 12.14 - BVerwGE 151, 348 Rn. 24; Beschluss vom 20. Juli 2015 - 6 VR 1.15 - NVwZ 2015, 1383 Rn. 6). Der Inhalt des presserechtlichen Auskunftsanspruchs wird maßgeblich durch die Funktionen bestimmt, die die Presse in der freiheitlichen Demokratie erfüllt. Ihr kommt neben einer Informations- insbesondere eine Kontrollfunktion zu (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. September 2015 - 1 BvR 857/15 - NJW 2015, 3708 Rn. 16). Die effektive funktionsgemäße Betätigung der Presse setzt voraus, dass ihre Vertreter in hinreichendem Maß von staatlichen Stellen Auskunft über Angelegenheiten erhalten, die nach ihrem Dafürhalten von öffentlichem Interesse sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 6 C 12.14 - BVerwGE 151, 348 Rn. 30). Der verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch der Presse hat diesen Funktionen Rechnung zu tragen.

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b) Allerdings ist der Anwendungsbereich des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs nicht eröffnet, wenn parlamentarische Angelegenheiten wie Immunitätsangelegenheiten betroffen sind.

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Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass der verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch allein gegenüber Bundesbehörden im funktionalen Sinne geltend gemacht werden kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013 - 6 A 2.12 - BVerwGE 146, 56 Rn. 25 f., 30, vom 25. März 2015 - 6 C 12.14 - BVerwGE 151, 348 Rn. 30, vom 16. März 2016 - 6 C 65.14 - BVerwGE 154, 222 Rn. 13 und vom 29. Juni 2017 - 7 C 24.15 - BVerwGE 159, 194 Rn. 62 ff.; vgl. auch § 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 IFG sowie hierzu BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 7 C 1.14 - BVerwGE 152, 241 Rn. 13 ff.).

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Auch das Bundesverfassungsgericht geht von keinem weitergehenden verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse aus. Es hat offengelassen, ob ein Auskunftsanspruch unter Rückgriff auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden kann und wie weit dieser gegebenenfalls reicht. Denn für eine Verletzung der Pressefreiheit ist jedenfalls dann nichts ersichtlich, solange die Fachgerichte den Presseangehörigen im Ergebnis einen Auskunftsanspruch einräumen, der hinter dem Gehalt der - untereinander im Wesentlichen inhaltsgleichen, auf einer Abwägung zielenden (vgl. § 4 PrG BW; Art. 4 PrG BY; § 4 PrG BE; § 5 PrG BB; § 4 PrG HB; § 4 PrG HH; § 3 PrG HE; § 4 PrG MV; § 4 PrG NI; § 4 PrG NW; § 6 LMG RP; § 5 SMG; § 4 PrG SN; § 4 PrG ST; § 4 PrG SH; § 4 PrG TH) - Auskunftsansprüche der Landespressegesetze nicht zurückbleibe (BVerfG, Kammerbeschluss vom 27. Juli 2015 - 1 BvR 1452/13 - NVwZ 2016, 50 Rn. 12). Das jeweilige Landespresserecht gewährleistet indes allein einen Anspruch auf Auskunft gegenüber Behörden im Hinblick auf Verwaltungshandeln.

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Immunitätsangelegenheiten sind demgegenüber Teil der parlamentarischen Angelegenheiten des Deutschen Bundestages. Dass eine Anfrage der Presse zu Immunitätsangelegenheiten in der Bundestagsverwaltung bearbeitet und nur Auskunft über statistisch aufbereitete und nicht auf identifizierbare Abgeordnete bezogene Angaben begehrt wird, macht deren Beantwortung noch nicht zu einer Verwaltungsangelegenheit. Materiell steht Immunitätsrecht nach Art. 46 Abs. 2 bis 4 GG als Teil des Parlamentsrechts in Rede. Die Immunität dient dem Schutz des Abgeordneten vor Beeinträchtigungen seiner parlamentarischen Tätigkeit und damit der Sicherung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Bundestages (vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2001 - 2 BvE 2/00 - BVerfGE 104, 310 <329>; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Stand Januar 2018, Art. 46 Rn. 50 f.). Sie findet ihre Rechtfertigung vor allem im Repräsentationsprinzip. Der Bundestag nimmt seine Aufgaben und Befugnisse nicht losgelöst von seinen Mitgliedern, sondern in der Gesamtheit seiner Mitglieder wahr. Demgemäß ist jeder Abgeordnete berufen, an der Arbeit des Bundestages, seinen Verhandlungen und Entscheidungen teilzunehmen (vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Juni 1989 - 2 BvE 1/88 - BVerfGE 80, 188 <217 f.>). Die Immunität soll davor schützen, dass Abgeordnete durch Strafverfolgungsmaßnahmen oder sonstige Eingriffe der anderen Gewalten in dieser Arbeit behindert werden. Im Übrigen sind selbst korrekte, nicht in politischer Absicht veranlasste behördliche Maßnahmen geeignet, die Arbeit des Parlaments zu beeinträchtigen. Das gilt gleichermaßen für jene Ermittlungen, die entweder durch Anzeigen, die Streitlust Privater oder durch Verdächtigungen seitens der Medien ausgelöst worden sind (BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2001 - 2 BvE 2/00 - BVerfGE 104, 310 <328 f.>). Die Immunitätsangelegenheiten gehören mithin zum Kernbereich der verfassungsrechtlich begründeten Parlamentsautonomie (BVerfG, Urteil vom 21. Juli 2000 - 2 BvH 3/91 - BVerfGE 102, 224 <236 f.>). Eine Unterscheidung zwischen auskunftspflichtigen "rein statistischen Daten" und anderen Daten widerspräche der umfassenden Zuweisung der Immunitätsangelegenheiten in die autonome Sphäre des Parlaments. Immunitätsangelegenheiten unterfallen daher insgesamt und ohne Differenzierungen nach der Qualität der Daten der Parlaments- und Geschäftsordnungsautonomie, ohne dass es darauf ankäme, ob gleichzeitig auch Rechtspositionen einzelner Abgeordneter berührt werden oder die Weitergabe von Daten die Funktionsfähigkeit des Parlaments oder dessen Ansehen beeinträchtigen kann. Indem es vorliegend nicht um die administrative Tätigkeit der Bundestagsverwaltung, sondern um eine Tätigkeit im Rahmen der Parlamentsautonomie geht, unterscheidet sich die vorliegende Konstellation von derjenigen der Urteile zu Auskünften zum Sachleistungskonsum von Abgeordneten oder der Tätigkeit der Bundestagsabgeordneten vorgelagerter Unterstützungsleistungen des Wissenschaftlichen Dienstes (vgl. BVerwG, Urteile vom 16. März 2016 - 6 C 65.14 - BVerwGE 154, 222 Rn. 20 ff. und vom 25. Juni 2015 - 7 C 1.14 - BVerwGE 152, 241 Rn. 13 ff.).

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2. Ein Anspruch auf die begehrten Auskünfte besteht schließlich nicht gemäß Art. 10 EMRK. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wonach sich aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 EMRK ein Recht auf Informationszugang ergeben kann (vgl. EGMR, Urteil der Großen Kammer Nr. 18030/11 vom 8. November 2016; auszugsweise in dt. Übersetzung in NLMR 2016, 536 Rn. 155 f., 158 ff.), spricht zwar viel dafür, dass das vom Kläger in seiner Rolle als Journalist und somit in seiner Funktion als "public watchdog" geltend gemachte Auskunftsbegehren von der Garantie des Art. 10 Abs. 1 EMRK erfasst wird. Es ist allerdings nichts dafür ersichtlich, dass die nach innerstaatlichem Recht bestehenden Grenzen des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs bei Beachtung des den Konventionsstaaten zuzubilligenden Beurteilungsspielraums den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ("in einer demokratischen Gesellschaft notwendig") gemäß Art. 10 Abs. 2 EMRK nicht genügen (vgl. BVerwG, Urteile vom 16. März 2016 - 6 C 65.14 - BVerwGE 154, 222 Rn. 29 und vom 29. Juni 2017 - 7 C 24.15 - BVerwGE 159, 194 Rn. 45).

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.